Der gestrige Tag war ziemlich erholsam und ich konnte meine Kräfte wieder regenerieren. Deshalb will ich heute den letzten vollen Urlaubstag in Zakopane für eine weitere interessante Wanderung nutzen. Als ich gegen 9.00 Uhr morgens zu Fuß Richtung Kuznice loslege, habe ich noch keine genaue Vorstellung, für welche Wanderroute ich mich entscheiden sollte. Lediglich der Ausgangspunkt in Kuznice steht fest, denn von hier gibt es mehrere Möglichkeiten zu wandern.
Das Wetter in Zakopane ist sonnig und es ist nicht so schwül, wie vergangene Tage. Die Temperaturen liegen schätzungsweise knapp über 20 Grad. Aber über dem Gebirge sammeln sich Quellwolken.
In Kuznice angekommen studiere ich die große Karte mit den Wanderwegen an einer Tafel und beschließe, zunächst zum Tal Dolina Gasienicowa zu gehen, das wir schon vorgestern auf dem Rückweg von Kasprowy Wierch teilweise gesehen haben. Heute will ich aber über das Tal Dolina Jaworzynka gehen und nicht wie vorgestern über Boczan und den Berggrat von Skupniów Uplaz. Der Weg durchs Tal ist mit gelben Markierungen gekennzeichnet und beginnt etwas weiter links (östlich) von dem Gebäude der Seilbahn-Talstation.
Nach Überquerung einer kleinen Brücke über dem Flüßchen Bystra kaufe ich die Eintrittskarte zum Nationalpark, und nach etwa 5 Minuten Weges komme ich zu einer fast einen Kilometer langen Wiese Polana Jaworzynka im gleichnamigen Tal.
Das Tal besitzt einen schluchtartigen Charakter - geschlossen von beiden Seiten durch Berggrate (links der gestern durchquerte Berggrat von Skupniów Uplaz) läuft das Tal geradeaus auf seinen südlichen Abschluß zu - den Berg Mala Kopa Królowa.
Die ersten ca. 30 Minuten führt der bequeme ebene Wanderweg durch eine sanfte, grüne und ruhige Landschaft.
Links rauscht ein kleiner Bach.
Gegen Ende dieses angenehm flachen Abschnittes wächst eine große Gruppe von Lärchen. Kurz dahinten knickt der Weg scharf nach rechts ab und führt jetzt über einen steinigen Weg nach oben. Die Trasse verläuft in einem großen Bogen über einen Berghang genannt Siodlowa Perc. Nach einem ca. 20minütigen Aufstieg mache ich eine kurze Pause an einer Galerie, von der man schöne Ausblicke auf das unten liegende Tal
und auf Skupniów Uplaz
hat. Danach folgen weitere 45 Minuten eines anstrengenden Aufstiegs durch dichte Zwergkieferfelder bis schließlich der gelbe Pfad ein wenig unterhalb des Paßes Przelecz miedzy Kopami auf den blauen Pfad trifft, den wir bereits vorgestern auf dem Rückweg von Dolina Koscieliska durchgewandert haben.
Die Paßhöhe ist ein bei Touristen beliebter Ort, um nach dem schweißtreibenden Aufstieg eine Pause anzulegen, zumal sich von hier sehr schöne Aussichten bieten: auf das Tal und den Berggrat hinter mir,
auf Giewont im Westen,
auf die beiden sanften Berge, die der Paß voneinander trennt und auf den schönen Weg durch die Ebene Królowa Rówien
zum Tal Dolina Gasienicowa.
Die nächsten ca. 20 Minuten geht es über diese Hochebene, die ich schon seit der Wanderung von vorgestern kenne, bis zu der sehr bekannten Schutzhütte "Murowaniec" (12500 m) auf der Alm Hala Gasienicowa. In diese Richtung gehend eröffnet sich vor den Augen ein immer schöneres Panorama der Gipfel,
die die Alm bzw. das Tal umgeben. Im letzten Teil des Weges geht es etwas steiler runter bis zur Hütte.
Dolina Gasienicowa ist eines der attraktivsten und am meisten besuchten Täler in Tatra.
Hier befinden sich ca. 22 kleinere und größere Seen, der größte davon ist der Czarny Staw Gasienicowy.
An der Hütte beginnen und enden sehr viele Wanderpfade, dementsprechend ist hier auch viel los.
In und um die Schutzhütte sitzen sehr viele Wanderer und Touristen. Ich schließe mich ihnen an, mache hier auch eine kurze Mittagspause und überlege meinen weiteren Weg. Ich will zunächst ins Tal Dolina Gasienicowa hinein, um mir den einen oder anderen Bergsee anzuschauen. Nach einem kurzen Blick in die Wanderkarte entscheide ich mich, weiter dem blauen Pfad zu folgen, der zunächst zum größten See - Czarny Staw führt.
Es ist ein malerischer Weg, der durch ein offenes und relativ ebenes Gelände in der breiten Talsohle führt.
Ca. 30 Min. nach dem Verlassen der Schutzhütte komme ich zum nördlichen Ufer des Schwarzen Teiches, wie der Czarny Staw auf polnisch heißt.
Hier mache ich wieder eine Pause und plane den weiteren Weg. Es reizt mich, dem blauen Pfad weiter folgend, zum Paß Zawrat aufzusteigen, was aber noch ca. 2 Stunden weiteren Aufstieg bedeutet. Und vom Paß muß ich dann wieder auf irgendeinem Weg zurück kommen. Eine weitere Möglichkeit, ist der ca. 0,5stündige Aufstieg zum Paß Karb, direkt am Czarny Staw. Das Wetter ist auch ungewiss - über Zakopane sieht man zwar einen strahlend blauen Himmel,
aber über den Berggipfeln im Süden, wo ich hingehen müßte, hängen ziemlich dichte Wolken. Ich sehe jedoch einige andere Wanderer, die dem blauen Pfad zum Paß Zawrat folgen, und entscheide mich schließlich, auch in Richtung dieses sehr bekannten Paßes zu gehen. Unterwegs will ich dann entscheiden, ob ich umkehre, oder bis zur Paßhöhe weitergehe.
Zunächst gehe ich aber ca. 20 Minuten um den Czarny Staw herum
an dessen nördlichem und östlichem Ufer entlang.
Auf der gegenüberliegenden Teichseite ragen steile Berggipfel empor.
Am südostlichen Rand des Sees beginnt langsam der Aufstieg.
Zunächst geht es noch über im Gras gelegte Felsplatten
aber schon nach 5 Min. kommt ein erster Steinbruch. Es folgen ca. 30 Minuten Weges mit mehreren steilen Abschnitten, wo man über mehrere felsige Hindernisse klettern muß, manchmal auch mit Hilfe der Arme. Die Hindernisse wechseln sich mit etwas einfacheren Abschnitten ab. Nach einiger Zeit sehe ich Warnschilder: "Sehr schwieriger touristischer Weg, Vorsicht vor herunterfallenden Steinen". Es ist aber schon zu spät, um umzukehren, denn die Überwindung der bereits durchquerten Hindernisse beim Abstieg wäre noch unangenehmer. Also folge ich dem blauen Pfad nichtwissend, was mich noch im oberen Teil erwartet.
Eine gute Stunde vom See entfernt erreiche ich nach Überquerung eines größeren Schneefeldes
ein kleines felsiges Plateau und mache hier die nächste Pause. Rundum sieht man nur Felsen und Felsbrocken, außer dem sperlich vorhandenen Gras gibt es hier keine andere Vegetation. Aber das Panorama ist trotzdem sehr interessant, schade nur, daß es zwischenzeitlich ziemlich bewölkt ist. Im Osten blicke ich auf den kleinen, malerisch von den Felswänden und vom Geröll umgebenen, fast schwarzen Teich Zmarzly Staw.
Und in den Felsen sehe ich plötzlich auch zwei Steinböcke, die auf den steilen Hängen gemächlich spazieren.
Ja, das hier ist ihre Welt, und nicht unbedingt meine: ich blicke besorgt nach Süden auf die steile Wand vor mir, voller Felsbrocken und Geröll.
Hierhin gehen gerade einige andere Touristen, die vor mir auf dem Pfad gegangen sind. Also hier geht es rauf zum Paß Zawrat.
Nachdem ich mich etwas erholt und für den weiteren Weg motiviert habe, geht es weiter.
Bald schon wird es schwierig - jetzt beginnt der anspruchvollste Teil des Aufstieges.
Hier, zwischen riesigen Felsbrocken und spitzen, sich sträubenden Felsen beginnen auch Eisenketten und -klammer, die mich fast ununterbrochen die nächste Stunde begleitet werden. Sie dienen weniger zum Stützen, um mehr dazu, sich mit ihrer Hilfe den Hang hochzuziehen.
Man braucht zum Klettern also auch beide Hände, und deshalb muß ich meine Kamera im Rücksack verstauen (sonst zerfetzt sie an den Felsen), obwohl sich immer wieder hinter mir schöne Ausblicke eröffnen.
Ich vermeide jedoch bei meiner Höhenangst möglichst die Blicke nach hinten, und konzentriere mich nur auf den nächsten Schritt und den nächsten Handgriff. Das Bild der Hunderte Meter steilen Wände über dem Kopf und unter den Füssen muß man einfach vergessen. Aber wenn ich gewußt hätte, wie steil der Aufstieg zum Paß Zawrat ist, hätte ich mich mit Sicherheit nicht darauf eingelassen. Jetzt bleibt jedoch nur eine Möglichkeit - weiter nach vorne, bzw. besser gesagt - nach oben zu gehen. Denn ein Abstieg fast in den Abgrund wäre hier für mich noch schwieriger. Gut daß noch einige weitere Kleterer unterwegs sind - man hilft sich hier auch gegenseitig. Und ab und zu kommen Touristen von oben herunter - dann muß man nach geeigneten Ausweichstellen suchen, um auch den anderen einen sicheren Griff an den Ketten zu ermöglichen.
Der Aufstieg führt über spitze, unfreundliche Felsen parallel zu einer vollen Geröll Hangrinne.
Immer wieder gibt es aber Gelegenheiten, Verschnaufpausen einzulegen, bevor wieder eine steilere Kaminpartie folgt, oder bevor der Weg wieder über eine schmale Querterrasse am Abgrund vorbei führt. Nach einer guten Stunde dieser Anstrengung erblickt man endlich das Ende des Weges - die Paßhöhe. Hier ist es voll von Touristen, denn hier kreuzen sich zwei populäre Wanderwege: der Weg, dem ich folge, und ein Pfad über die Gipfel der benachbarten Berge.
Oben angekommen bin ich erschöpft, voller Adrenalin, glücklich und auch ein bischen stolz, daß ich diesen für meine Verhältnisse sehr schwierigen Aufstieg bezwungen habe. Jetzt mache ich entspannt eine verdiente Pause und genieße ausführlich das tolle Panorama, das sich vom Paß Zawrat (2159 m) eröffnet. Vor allem der Blick nach Süden ins Tal der Fünf Polnischen Teiche (Dolina Pieciu Stawow Polskich) ist spektakulär.
Der Rückblick nach Norden, auf den gerade bewältigten Hang, ist dagegen durch Felswände ziemlich verdeckt.
Für den Aufstieg von der Schutzhütte "Murowaniec" bis zum Paß muß man ca. 2,5 Stunden Weg einkalkulieren.
Ich überlege mir jetzt den weiteren Weg und beschließe, ins Tal Dolina Pieciu Stawow Polskich abzusteigen, und dann über das Tal Dolina Roztoki bis zum Parkplatz in Palenica zu gehen.
Es ist erst etwa 14.30 Uhr also habe ich noch Zeit genug, um auf diesem Wege vor der Abenddämmerung zurück zu kommen.
Der Abstieg nach Süden - weiter dem blau markierten Pfad folgend - ist bei Weitem nicht so steil und spektakulär,
wie der Aufstieg zum Paß von der nördlichen Seite. Er bietet dafür sehr schöne Ausblicke auf die verschiedenen Bergseen in dem riesigen, hochgelegenen Tal und auf die es umgebenden hohen Berggipfel. Zunächst geht es über viel Geröll und kleinere locker liegende Felsbrocken
nach Süden, linksherum am unten im hintersten Teil des Tals Dolina Pieciu Stawow Polskich liegenden See Zadni Staw Polski (Hinterer Polnischer Teich).
Es gibt überall hier noch sehr viele kleinere schneebedeckte Flächen.
Links des Weges liegt ein Berggrat,
an dessen Ende nach ca. 30 Minuten Marsches der Weg nach Osten abbiegt. Von hier aus eröffnet sich ein weiteres phantastisches Panorama
auf die übrigen im Tal gelegenen Bergseen: Czarny Staw Polski,
Wielki Staw Polski
(zweitgrößter und mit 79 m tiefster Bergsee in der Tatra), den kleinen Maly Staw und schließlich ganz hinten der Przedni Staw.
Ab jetzt hat man sehr schön vor den Augen das breite, nur mit Gras bewachsene Plateau und den sich links von den Seen dadurch windelnden Wanderweg.
Und südlich der Seen - eine Bergkette mit mehreren, ca. 2000 Meter hohen Gipfeln.
Knappe 2 Stunden nach dem Aufbruch zum Abstieg vom Zawrat-Paß erreiche ich die Schutzhütte am See Przedni Staw,
wo ich bereits am vergangenen Sonntag auf dem Weg über das Tal Dolina Roztoki in dieses Tal
und weiter zum Bergsee Morskie Oko gewesen bin. Auch heute mache ich an dieser Stelle eine Pause, bevor es dann auf dem mir von der Sonntagwanderung schon bekannten Weg
durch das Tal Dolina Roztoki runter geht. Für den Abstieg bis zu den Wasserfällen Wodogrzmoty Mickiewicza an der Straße brauche ich ca. 1,5 Stunden und für den Weg über die asphaltierte Straße im Tal Dolina Bialki bis zum Parkplatz in Palenica eine weitere halbe Stunde. Hier bin ich um ca. 18.30 Uhr. Auf dem Parkplatz warten mehrere private Kleinbusse, die zum Bahnhof in Zakopane mit den Touristen verkehren. Auch ich fahre mit einem solchen Bus zurück in die Stadt. Die Überfahrt dauert ca. 40 Minuten. In Zakopane gehe ich noch ins Zentrum, um an der Straße Krupowki etwas zu essen. Anschließend fahre ich mit einem PKS-Bus nach Hause nach Olcza. Damit endet um ca. 20.30 Uhr die längste und anstrengendste aber auch die spektakulärste und wohl gefährlichste Bergwanderung, die ich während dieses Urlaubs unternommen habe.
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